Aus dem MuseumsBLOG des Niederösterreichischen Landesmuseum.
Text: Prof. Dr. Elisabeth Vavra
Im Juni des Jahres 1926 waren die Zeitungen voll von Berichten über den „mysteriösen Mordanschlag gegen einen Großgrundbesitzer“ (Illustrierte Kronen Zeitung), die „Tragödie von Raabs“ (Die Neue Zeitung, Illustrierte Kronen Zeitung), „Das Ehedrama in der Familie bei Hugo Klinger“ (Prager Tagblatt) oder das „Zerbrochene Eheglück“ (Allgemeiner Tiroler Anzeiger). Im Mittelpunkt der Tragödie standen Baron Hugo Klinger von Klingerstorff, Schlossherr zu Raabs und seine Gemahlin Sibylle. Sie stammte aus einer prominenten Familie. Ihr Vater war Markus Graf von Spiegelfeld, der seit 1907 das Amt des Statthalters von Tirol und Vorarlberg bekleidet hatte. Hugo Klinger hatte seine zukünftige Gemahlin während des Ersten Weltkriegs im Lazarett in Troppau kennengelernt. Die Ehe wurde 1916 geschlossen. Drei Kinder kamen zur Welt.
1925 begab sich die Baronin wegen einer Lungenkrankheit nach Meran. Dort lernte sie den zehn Jahre jüngeren russischen Emigranten Cyrill Konstantin Orlow kennen, der sich als russischer Großfürst ausgab. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Klavierspieler. Eine Liaison begann. Als die Baronin wieder nach Raabs zurückkehren musste, gestand sie ihrem Gatten den Seitensprung. Trotz gegenteiliger Versprechen traf sie weiter den jungen Russen. Am 29. Mai kam er zum ersten Mal nach Raabs. Er stieg als Karl Kelenkampf, Student aus München, im Gasthof Rudrof ab. Das Liebespaar plante, wie spätere Untersuchungen ergaben, einen Mordanschlag. Am folgenden Tag fuhr er mit dem Rad nach Großau, wo sich das Jagdrevier des Barons befand. Unter dem Vorwand, ein Tierfotograf auf der Suche nach Motiven zu sein, versuchte er sich eine Erlaubnis zum Betreten des Reviers zu verschaffen. Er erhielt sie, allerdings erst für den kommenden Tag. Allerdings traf der Förster den Fremden bereits an diesem Tag im Forst an und verscheuchte ihn. Vermutlich war bereits an diesem Tag der Mordanschlag geplant. Orlow hielt sich den nächsten Tag noch in Raabs auf und kehrte dann am Montag mit der Bahn nach Wien zurück.
Am Mittwoch, den 2. Juni fuhr Orlow, der im Hotel Sacher residierte – vermutlich auf Kosten der Baronin, die ihren Liebhaber aushielt – mit einem Taxi in Begleitung seines Freundes Emmerich von Somoghi nach Raabs. Auf der Straße Richtung Großau stieg die Schlossherrin bei der Sägemühle zu. Die Fahrt ging weiter Richtung Kollmitzdörfl. Nach einigen Kilometern musste der Chauffeur auf Geheiß der Baronin halten. Sie wies auf ein Gehölz und sagte: „Da ist das Revier!“ Orlow stieg aus; das Taxi brachte die Baronin zur Sägemühle zurück, um dann wieder ins Revier zu fahren. Über die Geschehnisse, die sich nun im Wald abspielten, gab es zwei Versionen. Der Chauffeur und der Freund Orlows waren nur Ohrenzeugen: Sie hörten nur zwei Schüsse, die fielen. Zunächst kam es anscheinend zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Baron Klinger und Orlow, die im Wald aufeinander trafen. Nach der Version des Barons wandte sich dieser mit den Worten „Ich habe mit Ihnen nichts mehr zu sprechen“ ab und wollte wieder zum Hochsitz gehen. Orlow zückte darauf eine Repetierpistole und schoss ihm in den Rücken. Baron Klinger hatte noch die Kraft, sich umzudrehen und aus seinem Jagdgewehr einen Schuss abzugeben, der Orlow den Arm zerschmetterte, gerade in dem Moment, in dem dieser seinen zweiten Schuss abgeben wollte. Nach der Version Orlows stammten die Schusswunden der beiden Männer von einem Duell. Ein zufällig mit einem Leiterwagen vorbei kommender Bauer brachte den verwundeten Baron nach Raabs. Orlow schleppte sich zum wartenden Taxi. Zunächst wollte er über die tschechische Grenze gebracht werden, dann nach Horn, um sich die Wunde, die ihm angeblich ein Wilderer zugefügt hatte, versorgen zu lassen. Dem widersetzte sich der Chauffeur, da er nicht in einen Kriminalfall verwickelt werden wollte. Er brachte Orlow und dessen Freund nach Raabs zurück und lieferte sie gleich beim Gendarmerieposten ab. Seinen Fuhrlohn in der Höhe von 2 Millionen Schilling erhielt er noch.
Orlov wurde inhaftiert und zur Behandlung seiner Schusswunde ins Spital nach Waidhofen an der Thaya gebracht. Gendarmerie und Bezirksgericht setzten die Untersuchungen des Vorfalls fort. Vor allem ging es darum, die Rolle der Baronin Klinger zu klären. Auf die mehrmals geäußerten Aufforderungen zur Einvernahme zu erscheinen, reagierte die Baronin nicht. Ihr Vater, der sich ebenfalls auf Schloss Raabs aufhielt, entschuldigte das Fernbleiben mit ihrem hochgradigen Erregungszustand. Die nächste Tragödie bahnte sich an: Sibylle Baronin Klinger von Klingerstorff erschoss sich mit einer Waffe, die sie in ihrem Zimmer versteckt hatte. Am 5. Juni wurden ihre sterblichen Überreste am Friedhof von Raabs beigesetzt. Baron Klinger ließ in der Nähe des Uhu-Felsens am Steilabfall zur Thaya das Mausoleum errichten. Nach der Fertigstellung 1929 wurde ihr Sarg hierher überführt. Auch ihr Gemahl und ihre Kinder fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Cyrill Orlow verstarb wenige Tage später, am 15. Juni, im Spital zu Waidhofen an der Thaya an den Folgen einer Lungenentzündung.